Vor dreissig Jahren setzte in Rostock ein Mob ein Haus voller Migrant:innen in Brand. Historiker Patrice Poutrus über das Gedenken daran als Verdrängungsversuch.
WOZ: Herr Poutrus, Sie haben verfolgen können, wie aus dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen ein Gedenkereignis wurde. Wie war die zurückliegende Woche für Sie?
Patrice Poutrus: Ich war darauf zwar einigermassen vorbereitet, trotzdem haben mich diese Tage des Erinnerns stark mitgenommen. Nach einer Podiumsdiskussion zu dem Pogrom habe ich einige Stunden gebraucht, um mich wieder zu beruhigen. Das hatte vor allem damit zu tun, dass wir über weiterhin ungelöste Konflikte in der deutschen Gesellschaft gesprochen haben.
Was meinen Sie damit?
Die Entwicklungen von 1992 und 1993 waren ein Angebot an weite Teile der deutschen Gesellschaft für innere Einheit – jenseits von Menschenwürde und Verpflichtung zu humanitärer Hilfe. Der imaginierten Abstammungsgemeinschaft der weissen Deutschen wurde ein elementarer Vorrang eingeräumt. Für Leute wie mich – Black and People of Color und Migrant:innen – wurde klar, dass man in diesem Land strukturell gefährdet ist, was sich in Ereignissen wie dem Pogrom und der daraus folgenden Schleifung des Asylrechts zeigte. Diese Zeit hat meine Haltung zur Bundesrepublik, genauer gesagt zur Berliner Republik, entscheidend definiert. Interessanterweise wurde nun der Zusammenhang zwischen rassistischer Gewalt und Verfassungsänderung in den Medien nur partiell thematisiert. Ich habe den Eindruck, dass um den Jahrestag herum versucht wurde, einen bedingungslosen Versöhnungsprozess einzuleiten – und das finde ich hochgradig problematisch.